Zum Denkmalwert des von Rudolf Lempp 1939, 1947, 1953, 1968 umgebauten Gebäudes

Brenzkirche, Stuttgart-Nord, 1933 Alfred Daiber

Zum Denkmalwert des von Rudolf Lempp 1939, 1947, 1953, 1968 umgebauten Gebäudes

Im Text des damaligen „Landesdenkmalamts”1 von 1983 zur Begründung der Denkmalwürdigkeit der Brenzkirche wurde festgestellt, dass das Gebäude ein „anschauliches Zeugnis für den Kampf, der zur Zeit des ‚Dritten Reiches‘ gegen die moderne Kunst geführt wurde” sei. Daher bestünde „an der Erhaltung der Brenzkirche ein öffentliches Interesse aus wissenschaftlichen Gründen.” Damit wurde das durch vier Umbauten (1939-1968 aus politischem Opportunismus heraus) entstellte Erscheinungsbild des Jahres 1983 vor weiteren Veränderungen (d.h. auch vor dem Rückbau zur ursprünglichen Gestalt) geschützt und in seiner Unattraktivität bewahrt. Weitere im Denkmalschutzgesetzt2  vorgesehene Begründungen wie künstlerische oder heimatgeschichtliche Gründe wurden nicht aufgeführt.

Inzwischen haben sich nicht nur die Auffassungen zum Umgang mit historischer Bausubstanz geändert,3 sondern auch die Struktur der staatlichen Denkmalpflege: Seit 2005 hat das neue „Landesamt für Denkmalschutz“4 neu geordnete Aufgabenbereiche, unterschieden in landesweite und regionale.

Die behördliche Entscheidung von 1983 ist also der von ästhetisch-künstlerischen Überlegungen unabhängige Versuch, die veränderte Hülle eines Gebäudes5 für bedeutender zu erklären als die ursprünglich einheitliche Gestaltung der Entstehungszeit. Der künstlerisch unbedeutenden Verfälschung6 wird mehr Wert zugestanden als dem künstlerisch bedeutenden Original. Die dabei verfolgte konformistische Nachahmung des Ererbten wird höher eingeschätzt als die individuelle Kreativität und innovative Fantasie. Das allein ist aus kunsthistorischer Sicht ungewöhnlich: Ein ehemals künstlerisch selbstbewusstes und zeitgemäßes, sakrales Versammlungshaus soll weniger gelten, als sein nachträglicher Umbau nach dem Geschmack der damaligen Großväter, also dem der konservativen Untertanen aus vorrepublikanischer Zeit. Dieser kleinliche Umbau ist alles andere als selbstbewusst: Er sehnt sich zurück zum Obrigkeitsdenken, zeigt Gehorsam gegenüber dem verordneten Geschmack der gerade Herrschenden.7 Dabei verzichtet er gleichzeitig auf herkömmliche Würdeformen früherer Zeiten; so entstand eine unglückliche Mischform aus modern-funktionalem Innenraum und altertümlicher Fassade mit scheunenartiger Erscheinung8 ohne form-inhaltliche Kongruenz:

  • An die Stelle des neuen, räumliche Effizienz anstrebenden, horizontal richtungslosen Flachdachs über dem flachen Andachtsraum (ohne Dachboden, also wie in der nahen Werkbundsiedlung am Weißenhof) trat ein herkömmlich gerichtetes Satteldach (ohne entsprechenden – neuen – oberen Raumabschluss im darunter liegenden Andachtsraum). Der dadurch wohl angestrebte Eindruck eines traditionellen Kirchenschiffs bleibt inkonsequent, weil der Andachtsraum seine ursprüngliche Saaldecke behält. (Auch die in diesem Zusammenhang zu erwartenden schmalen, hohen Kirchenfenster fehlten 1939 noch.)
  • Der offene Glockenturm mit sichtbarer Konstruktion wurde zum konventionell geschlossenen Turm mit unverständlichem Satteldach: Der eigentlich vertikal in die Höhe weisende Turm (üblicherweise mit einem zentralsymmetrischen Dach wie einem Pyramidendach, Zeltdach oder radialer Rund-Haube) kriegt mit dem kurzen First seines Satteldaches eine verwirrend horizontale Richtung im rechten Winkel zum Hauptfirst über dem Kirchenraum.9
  • Die seit 1947 stehenden Formate der nun deutlich schmaleren Fenster der Westseite sollen an ältere Kirchen mit hohem Innenraum erinnern, belichten hier aber einen niedrigen, flach gedeckten Innenraum.

Allein diese Widersprüche bei den unsicheren Umgestaltungen zeigen, warum das LDA 1983 keine künstlerischen Gründe für die Erhaltung dieses inhomogenen Konglomerats geltend macht.

Aber gibt es wirklich echte “wissenschaftliche”, d.h. forschungsrelevante Gründe, die ein öffentliches Interesse an der Beibehaltung dieser unkünstlerischen Veränderungen visavis der Kunstakademie rechtfertigen könnten? Also nicht die Wiederherstellung des sorgfältig geplanten Originalzustands, sondern die Erhaltung eines künstlerisch sorglos und politisch servil geplanten Folgezustands von 1939 mit drei weiteren Trippelschritten?

Die runde Nordwest-Ecke folgte (nach dem Grundsatz “form follows function”)10 nicht nur der – praktischen – Rundung der inneren Treppe, sondern leitete den Besucher ohne abrupten Knick von der Straße Am Kochenhof zum Haupteingang. Das ungewöhnlich große Treppenhausfenster an der Nordseite sorgte nicht nur für Transparenz und eine opulente Belichtung der Treppe, sondern zeigte auch ihren natürlichen Verlauf; so gestaltete die innere Funktion die äußere Form.11 Diese bis 1939 sichtbaren Bauelemente erklärten ohne Worte die Entwurfsideen des Funktionalismus einer interessierten Öffentlichkeit. Durch den Umbau ging diese charakteristische Qualität verloren. – Welchen Zuwachs an Wissen, welchen Gewinn für die Forschung verschafft uns das andauernde Verbergen dieser zeitgenössischen Entwurfsideen? Ist ein Vorzeigen der nachträglich angebrachten Vormauerung an der NW-Ecke, der Zumauerung der Fenster und des Turmgerüsts, des Aufsetzens von Satteldächern notwendig, um das rückwärts gewendete Kunstverständnis im ‚Dritten Reich‘ hier zu erklären? Dieses hatte sich konkret auch in der Gestaltung des Haupteingangs zur Reichsgartenschau (1939 von Gerhard Graubner) gezeigt, der in nordwestlicher Richtung gegenüber der Brenzkirche lag. Dieser Umstand war ein Hauptgrund für ihre arisiernde Umgestaltung durch Rudolf Lempp gewesen.12 Doch diese den Umbau ursächlich bedingenden NS-Bauten sind heute verschwunden, so dass der entsprechende optische Bezug am Ort gar nicht mehr hergestellt werden kann, sondern nur noch in den Archiven. – Derartige Arisierungsbestrebungen der NS-Geschmacksdiktatur gab es auch andernorts (z. B. an der St. Antoniuskirche in Kaltental13) und sie waren gewiss von dreister Intoleranz; aber muss man solche hässlichen, temporären Verirrungen der Ästhetik dauerhaft baulich im öffentlichen Straßenraum dokumentieren? Will man sich selbst die Korrektur von Baufehlern versagen, während man die der Diktatur konserviert? Für die wissenschaftliche Forschung haben sie nach dem Verschwinden des oppositionellen Pendants der Reichsgartenschau kein Gewicht mehr.

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Dr. Dietrich W. Schmidt
Dipl.-Ing., DWB, do.co.mo.mo.
Bauhistoriker i.R.
ifag, Uni Stuttgart