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Die Brenzkirche in Stuttgart und das Kreuz mit dem Denkmalschutz

Von Karl-Eugen Fischer . 15 Jun. 2021

“Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, ist blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“

R.v. Weizäcker 8. Mai 1985

 

Erinnerung 1

Der Denkmalschutz für die Brenzkirche wurde 1983 mit folgender Begründung verfügt: „Die 1939 im Zusammenhang mit der Reichsgartenschau ausgeführten Umbauten (Satteldächer, Veränderungen der Fenster, Entfernung der Eckrundung) sind höchst bezeichnend für den Kampf, der zur Zeit des ‚Dritten Reiches‘ gegen die moderne Kunst geführt wurde. Als anschauliches Zeugnis dafür besteht an der Erhaltung der Brenzkirche öffentliches Interesse aus wissenschaftlichen Gründen“.

 Erinnerung 2

Der erwähnte „Kampf…“ war sichtbar von 1939 bis 1944:

  • am Aufeinandertreffen der aufgesetzten Steildächer mit den verbliebenen Fensterbändern an der West- und Nordseite 
  • zwischen dem unverändert belassenen Inneren inklusive der verbliebenen Eckrundungen – und der zugemauerten, in Rechtecke gebrachten Nordfassade
  • an der Ummantelung des Glockenstuhls zu einem kümmerlichen Glockenturm
  • an der insgesamt auffallend unproportionierten und abweisenden Gesamterscheinung der arisierten Kirche. 

Die künstlerische, architektonische und kirchenbaugeschichtliche Qualität der Brenzkirche von 1933 wird in der Denkmalbegründung ignoriert. 

Ebenso werden die Veränderungen von 1947ff. beim Wiederaufbau der 1944 von Bomben beschädigten Kirche in der Denkmalbegründung außer Acht gelassen.

Diese Eingriffe haben mit dem „Kampf des ‚Dritten Reiches’ gegen die Moderne“ insofern nichts zu tun, als das „Dritte Reich“ 1945 untergegangen war.

 Erinnerung 3

Der Wiederaufbau von ´47 verändert Aussehen und Charakter der Kirche erheblich durch die

  • Reduktion des Fensterbandes an der Westseite auf sieben schmale Lanzettfenster.
  • den Einbau der gleichen Fenster, parallel dazu an der bis dahin fensterlosen Ostseite. 
  • den „Triumph-Bogen“ an der Altarwand im Kirchenraum, mit Seligpreisungen in Frakturschrift um das bauzeitliche Triptychon von Alfred Lörcher, („Gang zum Abendmahl“) herum. 

Weitere Veränderungen in den 50er, 60er und 70er Jahren zeigen die andauernden Schwierigkeiten der Gemeinde mit ihrer Kirche und den unmöglichen Versuchen, sie den Vorstellungen einer Kirche im klassischen Sinn anzupassen. 

„Kirchengebäude sind Orientierungspunkte und Identifikationsorte nicht nur für Kirchgänger, sondern auch für einen weitaus größeren Teil der Bevölkerung.“ (A. Gerhards) Kirchen stehen für Gemeinden. Gemeinden stehen für Kirchen. Über ihre Kirchen identifizieren sich Gemeinden und werden mit ihnen identifiziert.

Die Brenzkirche von 1933 steht für Innovation und mutigen Aufbruch in die Moderne. Aber von Anfang an wurde sie gerade deshalb von der Gemeinde abgelehnt. Da hatte sie etwas gemeinsam mit Stadtpfarrer Dr. Gotthilf Schenkel aus Zuffenhausen. Der wurde nicht zufällig im März 1933 vom Oberkirchenrat zum ersten Pfarrer auf die Stelle an der Brenzkirche benannt. Schenkel war SPD-Mitglied und erklärter Gegner des Nationalsozialismus. Aufgrund massiver Bedrohungen und Angriffe durch die SA hatte er Zuffenhausen verlassen müssen. Aber auch die Gemeinde auf den Killesberg lehnte ihn ab. Schenkel bekam kurz danach als erster Pfarrer im ‚Dritten Reich’ Berufsverbot. Menschen konnte man leichter zum Schweigen bringen als Gebäude. So wurde die Brenzkirche im Jahr 1933, nach der Machtergreifung der NSDAP und trotz herber Schmähungen von allen Seiten, eingeweiht. Architekt Daiber sah sich bei der Einweihung zu Rechtfertigungen genötigt. Er berief sich auf Sachzwänge für die moderne Bauweise und betonte, dass es jetzt gar keine Kirche mehr, sondern ein Gemeindehaus mit Betsaal wäre. Immerhin hat die Brenzkirche sich sechs Jahre lang gegen alle Widerstände auf dem Killesberg behaupten können. Schon das ist bemerkenswert und verdient zumindest genauso viel Beachtung wie ihre Umgestaltung 1939, die keine fünf Jahre Bestand hatte.

 Erinnerung 4

Im Gegensatz zum sozialdemokratischen Pfarrer Schenkel begrüßte die Gemeinde im April ’33 die Berufung eines der führenden Köpfe der „Deutschen Christen“ in Stuttgart, Friedrich Hilzinger. Das änderte sich auch nicht, als er jüdischen Kindern den Besuch des Kindergartens in der Brenzkirche verbot. Sein Nachfolger, Pfarrer Richard Fritz, begrüßte die Eröffnung der Reichsgartenschau und den damit verbundenen den Umbau der Brenzkirche als gute Fügung des Schicksals. Gemeindegliedern mit jüdischen Wurzeln verwehrte er den Zugang zur nunmehr arisierten Kirche. Ebenso wie die anderen Jüdinnen und Juden wurden sie von 42 bis 45 über den Eingang der Reichsgartenschau an der arisierten Brenzkirche vorbei zum Nordbahnhof getrieben und in den Tod geschickt.

1944 wurde die Brenzkirche von Bomben so schwer beschädigt, dass das Satteldach praktisch nicht mehr vorhanden war. Für den Wiederaufbau im Jahr 1946/47 wurde wieder Rudolf Lempp beauftragt. Das zeigt, dass die Gemeinde sich zu dem Zeitpunkt noch nicht von ihrem nationalsozialistischen Erbe trennen konnte. Unter dem Eindruck der Schrecken des verlorenen Krieges war die Gemeinde nicht in der Lage, selbst verübtes Unrecht anzuerkennen, geschweige denn wiedergutzumachen. Ein Wiederaufbau der ersten Brenzkirche war unter diesen Umständen nicht zu erwarten.

Aber auch in den Folgejahren war man unzufrieden mit dem nichtssagenden und hässlichen Gebäude. Außer kosmetischen Eingriffen konnte die Gemeinde sich nicht auf eine weitergehende Renovierung einigen. 

 Erinnerung 5

Mit der „Ernennung“ der NS-Architektur zum schützenswerten Kultur-Denkmal 1983 wuchs allerdings das Unbehagen, von nun an mit einem Denkmal des „Dritten Reiches“ identifiziert zu werden. 

Die Wahl der jüdisch-stämmigen und aus dem englischen Exil zurück gekehrten Religionspädagogin Dora Veit zur Vorsitzenden des Kirchengemeinderates 1983 markierten eine Erneuerung und Neuorientierung der Gemeinde. Man setzte sich nun mit dem begangenen Unrecht auseinander. Themen wie Frieden und Versöhnung, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gewannen an Bedeutung. 

Seit 1988 werden am Gedenkort im Killesberg jährlich Gedenkfeiern gehalten. Sie gehen zurück auf die Initiative von Mitgliedern aus dem Kirchengemeinderat der Brenzgemeinde: Pfarrer Hermann Söhner, Kirchengemeinderätin Brigitte Röhm und Kirchengemeinderat Walter Kümmerle.

Eine Wiedergutmachung der Verbrechen des „Dritten Reiches“ ist nicht mehr möglich. 

Die Befreiung der durch das Dritte Reich entstellten Brenzkirche schon und gerade angesichts der vielen Opfer, die nicht mehr rehabilitiert werden können, sogar geboten. 

Es wäre ein starkes Signal für eine Gemeinde und eine Kirche, die sich endlich vom Erbe des NS befreit hat. 

Im Bereich der evangelischen Kirche war das möglich, indem man an den verschütteten Rest der „Bekennende Kirche“ angeknüpft hat. Ihre Vertreter brachten die EKD zurück in den Ökumenischen Rat der Kirchen und damit in die weltweite Ökumene. 

Auch im Fall der Brenzkirche könnte 90 Jahre nach ihrer Einweihung der Faden wieder aufgenommen und weiterentwickelt werden, den die Erbauer mit der „in auffälligen Maße liberalistische Gesinnung“ zeigenden Brenzkirche – bewusst oder unbewusst – gelegt hatten. Die Forderung, die eigentliche Brenzkirche mit ihrer starken Symbol- und Aussagekraft zu befreien, ist heute stärker und berechtigter denn je.

 Erinnerung 6

Das „Dritte Reich“ wollte das Judentum vernichten und die Moderne ausradieren. Gottseidank ist das nicht gelungen. Dora Veit kam zurück. Es gibt wieder eine jüdische Gemeinde in Stuttgart, die Stuttgarter Synagoge wurde wieder aufgebaut, die Reichsgartenschau wurde zur Bundesgartenschau, der für den Umbau der Brenzkirche ausschlaggebende Eingang ist längst verschwunden, die Corbusier-Häuser in der verfemten Weissenhofsiedlung wurden Weltkulturerbe. 

Das Dritte Reich ist untergegangen. Das unvorstellbare Ausmaß seiner Verbrechen kam nur nach und nach und gegen viel Widerstand ans Licht. Sie werden inzwischen sorgfältig dokumentiert und weiter erforscht. Hakenkreuze und andere Insignien des nationalsozialistischen Terrors haben in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr – nur noch in geschützten Gedenkstätten. Und das ist gut so. 

Allein an der Brenzkirche soll nach dem Willen des Denkmalamts der Stempel des „Dritten Reiches“ erhalten bleiben. 

Aber die Brenzkirche ist keine Gedenkstätte! Und auch kein Mahnmal. 

Sie ist die Kirche ihrer Gemeinde. Sie ist „Orientierungspunkt“ und „Identifikationsort“. Sie soll ein Kraftort sein, der die Menschen anspricht, berührt, anzieht – und nicht abstößt. 

Im jetzigen denkmalgeschützten Zustand steht sie in krassem Widerspruch zu dem, was diese Kirche für die Menschen auf dem Killesberg und weit darüber hinaus leisten will.

Gottesdienst und Gemeindeleben in der Brenzkirche werden durch das Gebäude nicht getragen sondern konterkariert. Insofern greift die beharrliche Verweigerungshaltung des Denkmalamtes massiv in das gottesdienstliche Leben der Gemeinde ein. 

Die Befreiung der Brenzkirche von ihrem nationalsozialistischen Korsett hat nichts mit Leugnung der Geschichte zu tun. Im Gegenteil. Es geht um ein Zeichen der Befreiung und Emanzipation. Das Dritte Reich hat der Kirche eine menschenverachtende Ideologie aufgezwungen und auf seine Art und Weise das Gebäude ganz bewusst entstellt.

Wir sind heute so frei, die Brenzkirche davon zu befreien. Diese Freiheit ist zu verteidigen und nicht zuletzt im Blick auf das 100jährige Jubiläum der benachbarten Weissenhofsiedlung eine spirituelle, architektonische und auch städtebauliche Heraus-Forderung. 

Eine Kirche, die sich ihrer Geschichte bewusst ist, darf vor der Zukunft die Augen nicht verschließen. So wie sie jetzt ist, hat die Brenzkirche keine Zukunft, sondern nur eine Vergangenheit. 

Gerade angesichts der Verbrechen, die an Menschen und Gebäuden begangen wurden, ist es unsere Aufgabe, eine Kirche zu sein, die auch sichtbar einlöst, was sie sich 1945 im Stuttgarter Schuldbekenntnis vorgenommen hat: mutiger zu bekennen, treuer zu beten, fröhlicher zu glauben und brennender zu lieben. 

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